Das Hofscheuerareal
Baugeschichte
Das Wohnhaus an der Tübinger Straße, die dazugehörige Scheuer und das Waschhaus gehören wohl zu den ersten Häusern, die außerhalb der Stadtmauern erbaut wurden. Bauart und Ausbau des Wohnhauses zeugen für eine Bauzeit im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert.
Ausmaß und Qualität der dazugehörigen Scheune könnten ein Hinweis auf die Nutzung als Lagerhaus für einen Händler oder dergleichen bieten.
Das Volkshochschulgebäude aus dem Jahre 1898 mit seinem Erweiterungsgebäude aus dem Jahre 1962 bilden mit dem Neubau der Bibliothek die Gebäudegruppe zu einer städtebaulichen Einheit.
Nutzungskonzept der Hofanlage
Der Hofraum stellt das Bindeglied kultureller Nutzungen dar. Er wird mit einem geplanten öffentlichen Durchgang im Volkshochschulgebäude die städtebauliche Beziehung zwischen Markusstraße und der Stadt stärken. Das Wohnhaus soll der Volkshochschule als Erweiterung dienen.
Die Hofscheuer als Stadtbibliothek eingebunden in ein Areal schon bestehender und zukünftiger kultureller Nutzung, repräsentiert durch ihre Größe und Dominanz am Hasenplatz das neue Kulturzentrum.


Vom Lagerhaus zur Stadtbibliothek
Aufgabenstellung
Die Stadt Herrenberg mit ca. 30.000 Einwohnern sah insgesamt 1.250 m2 Nutzfläche und ca. 56.000 Medieneinheiten für die neue Stadtbibliothek vor. Diese Fläche stand in der Hofscheuer nicht zur Verfügung. Die fehlende Fläche wurde durch einen Neubau für den Jugend- und Kinderbereich ergänzt.
Das Landesdenkmalamt wachte mit Argusaugen über das denkmalgeschützte Gebäude und forderte größtmögliche Sub- stanzerhaltung beim Umbau. Im Widerspruch zu den Forderungen des Landesdenkmalamtes in der bestehenden alten hochwertigen Holzkonstruktion der Scheuer standen Forderungen des Baurechtsamtes der Brandschutzbehörde, der Tragwerksplanung, der technischen Ausstattung und nicht zuletzt der zukünftigen Nutzung als moderne Bibliothek mit allen notwendigen Funktionen. Es war also notwendig, eine Gesamtkonzept zu erarbeiten, das Anforderungen aller Beteiligten respektiert.
Es ist nachvollziehbar, dass dies ohne Kompromisse nicht möglich ist. Es bedurfte sehr viel Kraft und persönliches Engagement, die von den vorgaben von uns als Architekten entwickelten Intentionen bis zur Fertigstellung aufrecht zu erhalten.
Grundgedanke
Das historische Lagerhaus als Bibliothek, in der Medien der Vergangenheit, Gegen- wart und Zukunft gesammelt werden, ein Ort der Raum bietet, für unsere literarische Kultur.
Unsere Intention als Architekten lag darin, die Geschichte der Hofscheuer baulich aufzuzeigen und die Gegensätze von Altem und Neuem erlebbar zu machen. Die not- wendigen konstruktiven und funktionalen Umbauten konnten sich nicht verstecken.
Sie repräsentieren die heutige Nutzung als Bibliothek und zeigen durch ihre Gestalt und die ehemalige Nutzung der Hofscheuer auf. Gleichzeitig sollten die neuen Bauteile Assoziationen zur historischen Nutzung als Hofscheuer wecken.
Die Bauaufgabe der Hofscheuer wurde von uns als Architekten immer innerhalb eines Gesamtkonzepts gesehen. Alle Anforderungen seitens des Bauherrn, der Ämter, Fachingenieure und Nutzer mussten mit den Unzugänglichkeiten des Gebäudes in Einklang gebracht werden. Wir verstanden unsere Aufgabe darin, diese Unzulänglichkeiten des historischen Ge- bäudes in eine spürbare, erlebbare Qualität zu verwandeln. Die erlebbare Historie des Gebäudes provoziert den Besucher zur Auseinandersetzung mit dem Gebäude und schildert die Unverwechselbarkeit der Bibliothek.
Räumliches Gefüge
Im Erdgeschoss der Hofscheuer ist durch Erhalt der Bundwände die ehemalige Nut- zung als Scheuer erlebbar, z.B. die zwei- geschossige Tennenzufahrt als Eingangsbereich, der ehemalige Stallbereich mit seinen Öffnungen zum Futtergang, die heute als Annahme und Rückgabe für die Bücher dienen.
Im rückwärtigen Bereich wurden die Bundwände entfernt. Die Decken waren teilweise desolat oder fehlten, dadurch war es möglich, eine Querachse zu schaffen, die den räumlichen Bezug zum Neubau herstellt.
Die geringen Raumhöhen der Obergeschosse, die aufgrund der alten Holzkonstruktion vorgegeben waren, wurden durch die Zuordnung von Galerien und Lufträumen ausgeglichen. So entstand ein Gesamtraum, in dessen historischer Hülle wir uns auf neuen Konstruktionen und Materialien bewegen.
Konstruktion und Material
Im Vordergrund stand die alte Holzkonstruktion. Reparaturen an der alten Holzkonstruktion wurden mit Altholz vorgenommen. Bauteile, die desolat waren oder aus funktionalen und technischen Gründen ersetzt oder ergänzt wurden, sind mit neuen Bautechniken, materialgerecht auf die alte Konstruktion und Nutzung abgestimmt, hergestellt. Z.B. die konstruktive Fachwerkwand im 1.Obergeschoss, die darunterstehende Stahlbetonwand im ehemaligen Stallbereich, die Unterzugsverstärkungen aus Kertoholz, die Decken- platten aus 50 mm starken Baufurnierplatten und vieles mehr.
Der Neubau sollte nicht nur räumlich und funktional, sondern auch über konstruktive Merkmale und Materialien mit dem Altbau verknüpft werden. Die Konstruktion der Galerie im Neubau ist in die Hofscheuer hineingeschoben, ersetzt dort fehlende Decken und schafft den gewollten Materialfluss.
Das Aufzugsschachtgerüst, die Treppen und umlaufenden Galerien in der Hofscheuer schaffen den gestalterischen Zusammenhang der neuen Materialien bis in das Dachgeschoss der Hofscheuer. Der Personenaufzug nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein. Mit seinem offenen Stahlgerüst und seinem gestalterischen Bezug zum Fördermittel steht er im Kontext mit dem noch vorhandenen alten Heuabwurf, in dem die Lagermittel auf die verschiedenen Ebenen gehoben wurden.
Die 2 Dachgeschossebene wurde aus brandschutztechnischen Gründen von der Nutzung ausgeklammert. Das hatte den Vorteil, dass hier keine Eingriffe in die be- stehende Konstruktion notwendig waren. Der historische Raumeindruck wurde verstärkt durch den Verbleib der Dachplatten, der Holzbohlen und der alten Treppen, die bis in den Spitzboden führen und die ehemalige Nutzung nachempfinden.
Technisches Konzept
Die niedrigen Geschosshöhen der Hofscheuer, die nur 50 mm stark ausgebildeten Deckenkonstruktionen sowie die Erhaltung der maximal möglichen lichten Höhe der Räume bedingten eine sichtbare Installationsführung. Es konnte nicht, wie es in einem Neubau möglich ist, versteckt werden. Die technische Ausstattung war umfassten. Es musste ein Gesamtkonzept entwickelt werden, das die gesamte Haustechnik zentral verbindet, um ein gestalterisches Chaos der vielfältigen Ausstattung zu vermeiden (allgemeine Beleuchtung, Durchgangsbeleuchtung, Notbeleuchtung, Fluchtwegkennzeichen, Brandmelder, Lautsprecher, EDV, Telefon, Türverriegelungsanlage, Raumthermostate etc.). die haustechnische Lebensader des Gebäudes wird verkörpert durch eine senkrechte Steigtrasse im Luftraum des Erschließungsbereiches, Horizontale Kabelkanäle führen in die einzelnen Ebenen und erstrecken sich bis in den Neubau. Die Materialkorrespondenz der Leuchten zu den Kabelrinnen überspielen den Charakter der reinen Installations- führung. Die Kabelrinnen werden zur Tragekonstruktion und damit ein Bestandteil der Leuchten.
Farbkonzept
Der Innenraum der Hofscheuer an Decken und Wänden ist durch die Farben der historischen Materialien geprägt und bildet eine homogene Hülle aus naturbelassenem Holz und naturbelassenem Putz. die durch die Nutzung als Bibliothek bedingten festen Einbaute, Stahltreppen, Geländer wurden materialgerecht in einem zurückhaltenden Grau behandelt. Der graue Sisalboden in den Obergeschossen verbindet gestalterisch die neuen Materia- lien zu einer Einheit.
So steht die historische Hülle mit ihrem Material- und Farbfluss, mit den neuen Konstruktionen und ihrem Farb- und Materialfluss in einem klaren Kontext. Historische Bauteile, die ersetzt oder statisch ergänzt werden mussten, dort wo eine Kollision von neuer und alter Konstruktion unvermeidbar war, sind farblich in grünblauen Tönen behandelt und zeichnen so die Eingriffe in die Substanz auf. Das Farb- und Materialspiel der neuen Materialien in der Hofscheuer wurde in den Neubau übertragen.
Einrichtung
Die Einrichtung wurde als Bestandteil der Architektur der Hofscheuer entwickelt. Die niedrigen Raumhöhen bedingten, dass die Aufenthalts- und Gehbereiche dem Luftraum zugeordnet wurden. Die Bücherregale an den Rändern formulieren einen zentralen Innenraum, damit bleibt die charakteristische räumliche Gesamtheit der Hofscheuer erlebbar. Die Materialien der Einrichtung sind analog zu den neuen Baukonstruktionen gewählt. die Buntheit der Möbel verkörpert die neue Nutzung als Bibliothek.
Fassade
Die Hofscheuer, bedingt durch ihre histor- ische Nutzung als Lagerhaus, benötigte keine Fenster zum Klimaschutz. Die Lüftungs- und Toröffnungen waren durch die Konstruktion der Außenwände vorgegeben. Sie waren weder lotrecht noch orthogonal. Die nun notwendigen Verglasungen wurden von innen auf die Holzkonstruktion aufgesetzt. Somit blieb das äußere und innere historische Erscheinungsbild erlebbar. Die Gliederung der Torverglasung verweist auf die ehemals vorhandenen Holztore.
Die großflächige Verglasung am Neubau zum Hof ist das Schaufenster der Bibliothek und weckt in abstrakter Form die Assoziation zu einem offenen Nebengebäude der Hofscheuer. Der Fluchttreppenturm an Westfassade ist Bindeglied zwischen Alt- und Neubau und schafft mit seiner Gestalt den Bezug zum Silo. Die Firstverglasung zeigt die darunter liegende Holzkonstruktion und vermittelt von weitem die Bedeutung des Gebäudes.
Text von Kurt Dollmann
aus: Bau und Einrichtung zeitgemäßer öffentlicher Bibliotheken. Fortbildungsveranstaltung für Fachstellenbibliothekare März 1996
